Management by Mütze (Teil 1/7)
- Prof. Dr. Martin-Niels Däfler
- 29. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Juli
Erfolgreich als Führungskraft mit dem 5-Mützen-Modell

Die Datenlage ist eindeutig: Zufriedenheit, Engagement und Loyalität in deutschen Unternehmen befinden sich seit Jahren im Sinkflug. Diverse Studien kommen immer wieder zum gleichen Ergebnis – nur noch eine Minderheit der Berufstätigen geht gern zur Arbeit. Laut jüngster Gallup-Umfrage (März 2025) machen inzwischen 78 Prozent nur noch Dienst nach Vorschrift. Der Anteil der Beschäftigten, der sich emotional an den Arbeitgeber gebunden fühlt, tendiert in Richtung FDP-Wahlergebnisse. Freilich gibt es zahlreiche Ursachen für diese Entwicklung und bei jedem Einzelnen mögen die Gründe andere sein. Doch es gibt eine klare Nummer 1, weshalb Menschen keine Freude mehr im Job haben: der/die unmittelbare Vorgesetzte/r.
Wir führen noch, wie vor 100 Jahren
Dies ist nun freilich keine überraschende Erkenntnis. Menschen kommen zu Unternehmen, aber sie verlassen Chefs. Dabei liegt es meiner Meinung nach viel weniger an der Persönlichkeit der Vorgesetzten als an einem antiquierten Verständnis von Führung bzw. dem zugrundeliegenden Paradigma. Gary Hamel, Grand Seigneur der Managementberatung, äußerte sich dazu in einem Interview mit der WirtschaftsWoche (Juli 2025) wie folgt:
Das Problem sind nicht die Menschen in den Unternehmen, sondern die Strukturen. Unsere Organisationen sind darauf ausgelegt, dass Manager Kontrolle ausüben, statt ihre Mitarbeiter zu stärken. Diese Systeme belohnen Stabilität, nicht den Wandel. Leider stammt das heute dominierende Managementmodell aus einer Ära, in der die Welt langsam, vorhersehbar und mechanistisch war. Die Welt von heute ist aber komplex und dynamisch. Trotzdem führen wir Unternehmen, als lebten wir noch in den 1920er-Jahren.
Dieses überkommene Leitbild – kontrollieren, auf Schwächen und Fehler fokussieren, einengen – hat fatale Auswirkungen, nicht nur auf das Engagement und die Bindung der Mitarbeitenden, sondern auch auf die Kundenzufriedenheit sowie die Bilanz. Produktivität, Rentabilität und Kreativität schrumpfen, wenn sich die Belegschaft in die innere Immigration flüchtet. Es ist höchste Zeit gegenzusteuern! Zach Mercurio, Autor des Buchs „Mattering“, schreibt in einem Gastbeitrag für den HarvardBusinessManager (August 2025):
Im Alltag heißt das für Führungskräfte, dass sie ihre Teammitglieder wahrnehmen und ihnen zuhören müssen. Sie sollten regelmäßig zeigen, dass jeder Einzelne zählt. Führungskräfte auf höherer Ebene tragen die Verantwortung, diese Haltung in der gesamten Organisation zu verankern, damit Mattering zur gelebten Unternehmenskultur wird.
„Mattering“ matters
„Mattering“ beschreibt dabei laut Mercurio „ein Konzept, das Psychologen und Soziologen seit mehr als 40 Jahren beschäftigt. Es bedeutet, dass wir uns für andere wichtig fühlen, weil wir Wertschätzung erfahren und wissen, dass wir einen Beitrag zum Gelingen des großen Ganzen leisten.“ Mattering ist das elementarste psychische Grundbedürfnis, das Menschen haben. Sie wollen, ja sie müssen spüren, dass sie eine Bedeutung haben und dass sie gebraucht werden: „Ich bin nicht egal!“.
Was aber nun bedeutet all‘ das für Führungskräfte? Was können sie konkret tun, um Quiet Quitting zu stoppen? Wie lässt sich „Mattering“ im Alltag umsetzen? Überhaupt: Wie definiert sich Führung in Zukunft? Welche Aufgaben sollte ein zeitgemäßer Chef übernehmen?
Zu diesen Fragen habe ich mir Gedanken gemacht, die Erkenntnisse aus meinen Teamworkshops und Führungskräftecoachings verarbeitet sowie die aktuelle Forschung analysiert. Herausgekommen ist mein 5-Mützen-Modell, das helfen will, den Paradigmenwechsel, weg vom allwissenden Oberkontrolleur hin zum ermutigenden Leader, in der Praxis zu vollziehen.
Worum geht es dabei genau? Ich bin fest davon überzeugt: Um als Führungskraft in der neuen Arbeitswelt – egal in welcher Branche – noch eine Berechtigung zu haben und das übergeordnete Ziel zu erreichen, das Engagement der Mitarbeitenden zu sichern, müssen gleichzeitig fünf Rollen eingenommen werden. Es gilt, sich in einem übertragenen Sinne abwechselnd fünf verschiedene Mützen aufzusetzen und aus diesen unterschiedlichen Perspektiven heraus zu führen: mal als Anwalt, mal als Betriebswirt, mal als Coach, mal als Dirigent und schließlich mal als Entdecker.
Je nach unternehmensindividueller Situation, aktuellen Herausforderungen, Teamzusammensetzung und weiteren Faktoren variiert der zeitliche Anteil, den Führungskräfte für die einzelnen Rollen aufwenden müssen/wollen/sollten. Entscheidend ist, dass man die Mützen wechselt, sich also die Vielfalt der Ziele sowie Aufgaben bewusst macht und keine Mütze im Schrank liegen lässt. Denn das ist meiner Erfahrung nach eines der Hauptprobleme im Führungsalltag: Jede*r hat seinen individuellen Schwerpunkt, nimmt also vor allem eine bestimmte Rolle ein, und vernachlässigt die anderen. Um als Vorgesetzter erfolgreich zu sein, müssen jedoch alle Rollen gleichberechtigt bedacht werden.
Die 5 Mützen im Überblick
Anwalts-Mütze: Der Belegschaft/dem Team einen sicheren Rahmen geben (Teil 2/7)
Hauptaufgabe in dieser Rolle ist es, für alle Mitarbeitenden Psychologische Sicherheit zu gewährleisten und bestmöglich zu versuchen, Störungen von außen abzuwehren („Management by Umbrella“). Ziel sollte sein, die intellektuelle Reibung zu erhöhen und die soziale Reibung zu verringern.
Betriebswirt-Mütze: Effizienz und Effektivität sicherstellen (Teil 3/7)
Diese Rolle ist ein Relikt des konventionellen Führungsverständnisses, denn natürlich ist es auch in der neuen Arbeitswelt weiterhin wichtig, dass produktiv gearbeitet wird und dass die ökonomischen Kennzahlen stimmen. Folglich ist hier das Ziel, sämtlichen Slack zu identifizieren und zu eliminieren.
Coach-Mütze: Mitarbeitenden helfen, sich weiterzuentwickeln (Teil 4/7)
Wenn Vorgesetzte als Coach agieren, bedeutet das nicht, dass sie ihre Teammitglieder von Quartal zu Quartal zu höheren Leistungen pushen, sondern es heißt, dass sie ihre Stärken in den Blick nehmen und diese fördern, ihnen helfen, sich weiterzuentwickeln und dabei unterstützen, gemeinsam festgelegte Meilensteine zu erreichen. Ziel ist es, die Mitarbeitenden dort einzusetzen, wo sie ihre Talente am besten zur Entfaltung bringen können.
Dirigenten-Mütze: Aus Solisten ein Orchester formen (Teil 5/7)
Als Träger der Dirigenten-Mütze sorgen Führungskräfte für Transparenz und Koordination: Man kennt (und vertraut) sich im Team, die Verantwortlichkeiten sind geklärt, es wird vor Überlastung und Überforderung geschützt. Zudem werden Pläne und Projekte aufeinander abgestimmt. Das übergeordnete Ziel ist es, ein harmonisches Ensemble aufzustellen, das möglichst reibungslos zusammenspielt.
Entdecker-Mütze: Chancen identifizieren, ein Unruhegeist/Querulant sein (Teil 6/7)
Mit der Entdecker-Mütze auf dem Kopf sind Führungskräfte unbequem und unzufrieden. Sie stellen das Vorhandene in Frage, suchen bewusst Neues und gehen kalkulierte Risiken ein, um Chancen zu nutzen. Hauptzweck ist es, bei Produkten und/oder Prozessen Innovationspotenziale zu erkennen und neue Ideen in die Praxis umzusetzen.
In den folgenden Blogbeiträgen werde ich jede der fünf Rollen näher beleuchten. Ich werde
🙋🏻 begründen, warum die jeweiligen Rollen wichtig sind,
🎯 aufzeigen, welche spezifischen Ziele/Aufgaben damit verbunden sind und
🛠️ erläutern, mit welchen konkreten Werkzeugen sich die jeweiligen Ziele in der Praxis erreichen lassen.
Im abschließenden, siebten Beitrag werde ich auf die Persönlichkeitseigenschaften eingehen, die jede Führungskraft benötigt, um die fünf Rollen ausfüllen zu können.
Comments